“Nachtportier“

Unterwegs im Leben

Wäre das hier ein Hotel, dann wäre Peter Hannen heute der Nachtportier, und sein Arbeitsplatz wäre die Rezeption. Hannen hat seinen Dienst um 21.30 begonnen. Wäre er der Nachtportier, würde er Gäste empfangen, telefonisch Anfragen bearbeiten — alles, was so anfällt. In einem Hotel. Nachts. Kleve, Kanalstraße 5 bis 7. Sitz der Polizei-Inspektion (PI)Nord. Wer das Gebäude durch den Haupteingang betritt, muss an Peter Hannen vorbei. Der Dienst in der Wache — ein Job, um den man sich eher nicht reißt. Die meisten sind lieber im Außendienst: unterwegs im Leben. Auch POK Hannen freut sich darauf, demnächst wieder im Streifenwagen zu sitzen. POK — ach ja: Polizeioberkommissar. Abkürzungen machen das Leben leichter. Wenn man sich auskennt.

Wer sommertags den „Pförtner“ gibt, tut dies am liebsten nachts, denn „die Loge“ — fast rundum mit kugelsicherem Glas geschützt — entwickelt sich schnell zum „Grillstübchen“: Innentemperatur 40 Grad. Eine Klimaanlage ist beantragt.

"Mit denen kann man nicht reden"

Neun Stunden dauert die Nachtschicht. Zwei Nachtschichten folgen aufeinander — davor hat jeder zwei Spätschichten (acht Stunden) und zwei Frühschichten (sieben Stunden) hinter sich. Nach den Nachtschichten heißt es dann: Drei Tage frei. Heute ist Hannens erste Nachtschicht. Er ist seit 1980 „bei der Firma“. 24 Jahre im Job — das ist eine Menge Erfahrung. Und die Erfahrung sagt: Es könnte eine ruhige Nacht werden. Es ist Sonntag, und es sind Ferien. Die unruhigen Nachtdienste sind freitags und samstags. Die Leute genießen das Wochenende. Feiern. Alkohol ist im Spiel. Da fällt dann öfter mal eine Ruhestörung an. 

Peter Hannen ist sich sicher: Die Zeiten haben sich geändert. Nicht, dass es früher keine Ruhestörung gegeben hätte. Aber: „Früher haben die Nachbarn erst mal geredet. Heute wird gleich mal bei uns angerufen. Und die meisten, die sich da beschweren, möchten nicht, dass vor Ort ihr Name fällt.“ Keinen Ärger wollen sie haben. Wenn wir fragen, warum sowas nicht intern geregelt wird, hören wir: „Mit denen kannst du doch nicht reden.“ Oder: „Die kennen wir ja kaum.“ Sonntagnächte sind meist ruhige Nächte. Wer Montag arbeiten muss, feiert nicht noch groß. Aber natürlich weiß der Praktiker: „Eine Schicht ist erst nach der letzten Minute zu Ende. Und: Prognosen sind reine Theorie.“

Wenn der Kaffee regiert

Neulich — auch in einer Nachtschicht — kam in der letzten halben Stunde ein tödlicher Unfall. Dann ist vom einen Augenblick zum anderen allerhöchste Konzentration angesagt. Das kann schwer sein. Apropos schwer: Die schwerste Zeit der Nacht liegt irgendwo zwischen zwei und vier Uhr morgens. Die Augen werden schwer. Der Kaffee regiert. Wenn dann noch wenig zu tun ist, ziehen sich die Stunden wie ein Kaugummi.

Einer der Streifenwagen meldet sich. „Die kommen gleich mit einem Mann, bei dem eine Blutprobe entnommen werden muss.“ Leichter Unfall. Nur Blechschaden. Aber der Mann scheint betrunken zu sein. Da reicht dann das „Röhrchenblasen“ allein nicht aus. Wenn es vor Gericht geht, muss alles hieb- und stichfest sein.

Kann sein

Peter Hannen ruft einen der beiden Ärzte an, die sich die Bereitschaft teilen. Der wird in 15 Minuten in der Wache sein und die Blutprobe entnehmen. Dagegen kann sich niemand wehren. Vor der Blutprobe wird gefragt, ob nach dem Unfall noch etwas getrunken wurde. „In einem solchen Fall müssten wir dann zwei Blutproben im Abstand von einer halben Stunde nehmen und feststellen, ob der Alkoholgehalt im Blut sich im Ansteigen befindet oder den höchsten Punkt schon überschritten hat“, erklärt der Arzt nach getaner Arbeit.  Der Mann, um den es hier geht, gibt an, nur vorher getrunken zu haben. Es reicht also die einfache Blutentnahme. Nachdem die Probe beschriftet und versiegelt ist, wird sie am nächsten Tag an ein Labor geschickt und nach cirka vier bis sieben Tagen zurück sein. Der Arzt kann nach Hause fahren. Es ist mittlerweile 1.15 Uhr. Kann sein, dass er noch mal kommen muss. Kann sein. Ansonsten wünscht Hannen erst mal eine angenehme Nachtruhe.

Nichts los im Funk. Zwischendurch Stimmen aus dem Lautsprecher. „Die sind aus dem Emsland“, erklärt Hannen. Bei außerordentlichen Wetterverhältnissen bietet der Funkverkehr Überreichweiten an. Die eigenen Jungs erkennt man sofort an der Stimme. Bei den Jungs aus dem Emsland muss man nicht mithören. Kurz vor zwei Uhr wird ein Streifenwagen zu einer Ruhestörung geschickt. Es stellt sich heraus, dass die Beamten bereits zweimal vorher bei dieser Adresse waren. Das reicht. Es wird einen Gast geben in der Arrestzelle. Wer nicht hören will, muss sitzen.

Jeder Knopf steht zu Buche

15 Minuten später trifft der Streifenwagen nebst ehemaligem Randalierer ein. Jetzt ist er friedlich. Und kennt sich aus. „Der ist nicht zum ersten Mal hier“, erklärt Peter Hannen. Jeder, der in die Zelle kommt, muss durchsucht werden. Alles wird aufgelistet. Feuerzeug, Handy, Geld — jeder lose Knopf steht zu Buche. Das Ganze wird von einem Kollegen gegengecheckt. Alles muss stimmen. Danach werden die Sachen in einem Extra-Raum verschlossen. 

Nach 20 Minuten ist alles vorbei. Vor der Zellentür stehen die Schuhe des Randalierers. Peter Hannen wird zwischendurch immer wieder nach ihm sehen — auch das gehört jetzt zu seinen Aufgaben. Merke: Nie allein in die Zelle. Das könnte gefährlich sein. In diesem Fall allerdings zeigt sich schnell: Der vorher höchst lautstarke Mann schläft bereits nach zehn Minuten friedlich auf seiner Pritsche. Ob es der Schlaf des Gerechten ist, mag Hannen nicht beurteilen. Fest steht: Morgen früh wird der Mann nach Hause geschickt. Zu einer Anzeige ist es nicht gekommen.

Die zweite Luft

Längst ist es nach 3 Uhr. Im Sozialraum blubbert die Kaffeemaschine. Kaffeeduft hängt in den Gängen und sorgt für das, was die Radprofis „die zweite Luft“ nennen: Der tote Punkt muss überwunden werden. Dann geht’s. Bis dahin ist die Nacht ein schwerer Kleister, der sich auf die Augen legt — ein Kaugummi eben.

Manchmal war's die Putzfrau

Kann es denn passieren, dass mitten in der Nacht jemand zur Wache kommt? Das kann passieren. Auch auf der Wache gibt es „Stammgäste“. „Da gibt es einen, der hin und wieder mal betrunken bei uns angeliefert wird“, erzählt Hannen. „Irgendwann stand der nachts vor der Tür und sagte: Ich bin eine hilflose Person. Ich möchte gern in mein Zimmer.“ Aus der Sache mit dem Zimmer ist dann nichts geworden.  Was würde eigentlich passieren, wenn jetzt eine Frau in die Zelle müsste? „Dann müssen wir irgendwo eine Kollegin auftreiben“, erklärt Hannen. Jeder, der in die Zelle kommt, muss durchsucht werden. Da könnte es dann sein, dass auch bei Bundespolizei oder Zoll nachgefragt werden muss. „Früher“, erinnert sich Hannen, „hat das dann auch schon mal die Putzfrau übernommen.“

Auf Hannens Tisch liegt noch eine Vermisstenanzeige. Ein Mädchen ist "abgängig". Nicht zum ersten Mal übrigens. Zweimal ist sie schon getürmt, zweimal wieder „eingefangen“ worden. Sobald die Anzeige gemacht worden ist, werden die Daten eingepflegt und stehen Sekunden später im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung.

Bis zum Schichtende um 6.30 wird nichts mehr passieren. Das Telefon wird stumm bleiben und wenn Hannen den Heimweg antritt, wird der Mann in der Zelle wahrscheinlich noch schlafen. Hannen wird ihn an den Frühdienst übergeben. Keine besonderen Vorkommnisse. Morgen noch mal eine Nachtschicht — danach wird Hannen drei Tage frei haben. Irgendwann im September ist er wieder im Streifenwagen eingeplant.

Ist eigentlich tagsüber mehr los auf der Wache? Es gibt mehr Aufgaben, mehr Publikumsverkehr, mehr Anrufe.  Der „Mann am Schalter“ muss dann auch Anzeigen auf- oder Führerscheine entgegennehmen, die nach einer Ordnungswidrigkeit für einen Monat zu hinterlegen sind. 

Oder es kommen meldepflichtige Personen, deren Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wurde gegen die Auflage, sich wöchentlich zweimal auf der Wache zu zeigen. Und oft genug laufen tagsüber die Vorgänge parallel. Während die Anzeige aufgenommen wird, muss ein Ohr immer beim Funk sein. Mithören. „Alles Gewohnheit“, weiß Hannen. Wenn dann die anderen zur Frühschicht anrücken, macht sich der „Nachtportier“ auf den Weg nach Hause. Erst mal ausschlafen.



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007