Labor

Alles Zucker, oder was?

Erst mal wiegen

Der Weg der Zuckerrübe ist ergründlich. Er beginnt mit der Aussaat, setzt sich beim Wachstum fort (merke: ganz wie beim Wein gibt es gute und schlechte Jahrgänge), und endet nach Rübenroder und Verlademaus (zumindest am unteren Niederrhein) bei Pfeifer & Langen in Appeldorn, denn hier wird aus der nicht unbedingt modeltauglichen Knolle Zucker gemacht.

Wenn in Appeldorn Kampagnenzeit ist, rollen die Rübentransporter fast ohne Unterbrechung. Pause für die Anlieferung ist lediglich am Wochenende (samstags von 15 Uhr bis montags um sechs Uhr) — die Arbeit in der Fabrik allerdings läuft auch während dieser Zeit.

Der Weg der Zuckerrüben folgt ab Erreichen des Werksgeländes in Appeldorn einem genau festgelegten Schema. Los geht’s mit der Waage. Jeder Transporter, der das Gelände erreicht, wird zunächst einmal auf die Waage geschickt. Dann — im wahrsten Sinne des Wortes: Die Stichprobe, Mit einer Gabel werden Rüben zur Zuckergehaltsbestimmung auf ein kleines Förderband (Ziel: Labor) geladen. Damit jeder Transport vom System der Fabrik erfasst werden kann, hat jeder Fahrer einen Schlüssel, auf dem Daten gespeichert werden können. Später wird genau recherchierbar sein, welcher Bauer wie viel Rüben mit welchem Zuckergehalt und welchem Verschmutzungsgrad geliefert hat, denn nicht nur die Tonnage entscheidet am Ende über den Gewinn.

Die Stichprobenrüben, die auf ihrem Band Richtung Labor befördert werden, erhalten eine erste Wäsche, werden dann gehäckselt und landen als quarkähnliche Substanz im Labor,wo ihr Zuckergehalt bestimmt wird.

Gute Jahre, schlechte Jahre

Tim Wischmann ist bei Pfeifer & Langen Leiter der landwirtschaftlichen Abteilung. Er kennt sich aus in der Welt der Zuckerrüben und weiß, dass es gute und schlechte Jahre gibt. „1996 lag der Zuckergehalt der Rüben durchschnittlich über 17 Prozent. 1998 waren es dagegen unter 16.“ Was nach einer Kleinigkeit klingt, schlägt sich bei Zigtausenden verarbeiteter Rüben allerdings im Preis deutlich nieder. Zwar gibt es seit der Rübenverordnung garantierte Festpreise für die Rüben, aber die können je nach Qualität der angelieferten Knollen nach oben oder unten ausschlagen.

1977 gab es die erste Kampagne in Appeldorn. Damals mussten die Leute der Fabrik noch bei den Landwirten für den Rübenanbau werben. Heute kommen die Transporte sogar aus Münster an den Niederrhein. In den letzten 100 Jahren, erklärt Tim Wischmann, sei die Qualität der Rüben stetig angestiegen. „Das liegt an vor allem an der Züchtung. Die Sorten werden immer besser.“

Wenn ein Transport die erste Station passiert hat, geht es weiter zum Abladen am „Tower“. Der Turm, von dem aus das Abladen der Rüben bewerkstelligt wird, gleich in der Tat eins bisschen dem Tower eines Flughafens. Besetzt ist er in der Regel von zwei „Rübenlotsen“, deren Aufgabe es ist, den Verschmutzungsgrad der Rüben zu schätzen. Bei einem Transport, der in der Regel um die 20 Tonnen Zuckerrüben anliefert, macht es schon einen Unterschied, wie viel Prozent der Ladung aus Erde bestehen, denn — siehe oben: Am Ende entscheidet der Mix aus Tonnage und Qualität über die Vergütung für den Bauern..

Wenig Erde — viel gut

Im Tower sitzt zum einen ein Fabrikschätzer — zum anderen ein Gutachter des Rheinischen Rübenbauerverbandes. Merke: Vertrauen ist gut — Kontrolle kann auch nicht schaden. In der Regel allerdings sind sich Fabrikschätzer und Gutachter einig. Beim Abladen erhalten die Rüben eine erste Vollwäsche. Merke: Nichts kommt so dreckig in die Fabrik wie es geliefert wird. Und da die gemeine Rübe noch immer vom Feld kommt, bleibt es nicht aus, dass schon mal Erde dranhängt. Auf zwei Dinge achtet das Tower-Team: Wie viel Erde ist dran und wie gut ist der Kopf abgeschnitten. Bei der Ernte werden die Rüben vom Grün befreit. Wird der Kopf zu hoch abgeschnitten, ist das nicht gut. Sowohl Kopf als auch Erde werde in Prozenten erfasst und aufaddiert. Merke: Wenig Erde — viel gut! Ein niedriger Verschmutzungsgrad: 6 Prozent. Da kann man nicht meckern. Es kommt allerdings — wenn auch eher selten vor — dass die beiden im Tower richtig zuschlagen müssen. „Gerade heute hatten wir einen Transport mit über 50 Prozent“, erklärt Gutachter Bernhard Jordans. Bei einem Liefergewicht von 20 Tonnen können in einem solchen Fall mehr als 11,5 Tonnen abgeschrieben werden. Bei einem Preis von 46,72 Euro pro Tonne A-Rüben (Zuckergehalt 16 Prozent), schlägt der Verlust ins Kontor. Andererseits: Von einem Verlust kann man nicht sprechen, denn: Was nicht da ist, kann auch nicht verloren gehen.

Mit dem Schätzwert für die Verschmutzung ist der vorläufige Endpunkt der relevanten Datenerhebung erreicht. Wenn ein Transporter den Towerbreich verlässt, kommt wieder der Schlüssel ins Spiel. Danach geht’s wieder zur Waage und dann ab auf den Acker: Die nächste Fuhre holen. Rund 20 Minuten dauert der Kreislauf auf dem Fabrikgelände.

Pressschnitzel

Bevor die Rüben im Inneren der Fabrik ankommen, werden sie wieder und wieder gewaschen — dabei werden Steine und Erde ausgesondert. Was am Ende übrig bleiben wird — Pressschnitzel nämlich — wird als Futter weiter verkauft. Es bleibt nichts übrig von der Rübe. Alles wird verwertet. Und je nachdem, wie viel die Fabrik für das Futter am Ende erlösen kann, bekommen die Lieferanten, die Bauern also, noch mal eine Zusatzabrechnung.

Während in Anfangszeiten die Bauern selber die Reste abfuhren, haben sich in Zeiten der Spezialisierung die Regeln geändert. Nicht jeder, der „in Rüben macht“ hat zu Hause noch Vieh im Stall. Daher übernimmt die Fabrik die Vermarktung und zahlt die Bauern anteilig aus. Gut also, dass im Datensystem jede Tonne zu Buche steht.

Bis April wird in Appeldorn der Schornstein rauchen — möglichst ohne Unterbrechung. Dann ist Rübensommerschlaf, denn zwischendrin müssen die Knollen wachsen. Auf einen guten Jahrgang.

Rüben



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007