Bigos Fotos: Rüdiger Dehnen

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Die Wallfahrt zur polnischen Küche

Irena ist auf dem Holzweg, und das ist gut so. Irena ist keine Missionarin und hat trotzdem eine Mission. Die lässt sich schnell erklären: Kucnia Polska — polnische Küche. Dem gemeinen Niederrheiner ist die Weltküche längst geläufig. Ob Pizza oder Döner, Peking-Ente oder Balkanspieß — sogar die indische Küche ist manchem nicht fremd. Polnische Restaurants allerdings sind da schon eher eine Rarität. Im Kreis Kleve gibt es eines  zu finden. Es ist in Kevelaer. Chefin ist Irena Holz, und eben drum ist der Holzweg ihr Weg.

Irena ist eine Frau vom Typ Traum-Oma — eine echte Matka, und der deutschlandrelevante Teil ihrer Geschichte beginnt vor rund 25 Jahren in dem kleinen ehemals schlesischen Städtchen Brieg, das schon lange Brzeg heißt. Brzeg hat rund 38.000 Einwohner und liegt nicht weit entfernt von der Großstadt Opole (130.000 Einwohner — vormals Oppeln genannt). Berühmtester Sohn des Städtchens Brzeg ist der Dirigent Kurt Masur.

Es war einmal eine Frau im besten Alter — Abitur, gelernte Einzelhandelskauffrau, Geschäftsführerin eines Einzelhandelsunternehmens, die machte sich auf in den Westen. Ziel: Bundesrepublik. Status: Spätaussiedlerin. Die Frau hatte einen Bruder in der schönen Domstadt Köln. Dort baute er Autos in einem fort. Auf ihrem Weg ins Land besuchte Irena den Bruder und reiste dann ins Durchgangslager Friedland. Lange blieb sie nicht, dann ging es (für zwei Monate) nach Unna-Massen.

Es war einmal

Es war einmal eine Spätaussiedlerin, die kam von Unna- Massen in eine Stadt am Niederrhein: Geldern. Die Spätaussiedlerin, die Abitur hatte und außer Polnisch noch fließend Russisch sprach, war „zuhause“ Geschäftsführerin gewesen. Jetzt war sie eine Frau ohne Arbeit in einer Notwohnung. Es war einmal eine Frau, die, allen Umständen zum trotz, Fort- und Weiterbildungen machte und dann einen neuen Job bekam. Sie arbeitete jetzt als Verkäuferin in der Schmuckabteilung von Woolworth. Zehn Jahre lang. Dann fiel etwas vor: Die Bandscheibe. Und aus war’s mit dem Stehen hinter der Schmucktheke.

Es war einmal eine Frau, die in Geldern einen waschechten Niederrheiner kennen und lieben lernte. Der war Maurer und hieß Josef. Josef Holz. Ab jetzt war Irena auf dem Holzweg, denn die beiden heirateten. Zwei Kinder hatte Irena schon mit nach Deutschland gebracht. Josef und Irena verwirklichten den Traum von eigenen Häuschen, und wenn da nicht „Opolanka“ wäre — sie könnten in aller Ruhe ihr Rentnerdasein genießen. Ab und zu würde Irena, die längst vereidigte Dolmetscherin für Polnisch und Russisch ist, für die Polizei oder bei Gericht arbeiten ... aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Im Oktober eröffneten die beiden ein polnisches Restaurant in Kevelaer. Opolanka heißt es. Und was bedeutet das? „Opolanka — so nennt man ein Mädchen aus Opole“, erklärt Irena mit ihrem gemütlich klingenden Akzent. Was wäre schließlich ein polnisches Restaurant, wenn die Chefin keinen Akzent hätte?

Aber Irena hat nicht nur ihren Mann, das Restaurant und den wunderschönen kleinen Akzent mit dem rollenden ‘R’ — sie hat auch eine polnische Köchin. Die heißt Kristina Szczodrok. (Keine Angst vor Konsonanten!), und dann wäre da noch Piotr Skrzypczak — genau wie Kristina gelernter Koch.

Polnisch-russischer Suppenschlager

Was bei Irena serviert wird,  sind „specjalnosc“ (eigentlich gehören noch Akzente auf die letzten beiden Buchstaben), aber während die Schreibweise nicht alles zur Verfügung stellt, bleibt in Irenas Küche, die ja eigentlich Kristinas Küche ist, kein Wunsch offen. Da gibt es Pierogi (speziell gefüllte Maultaschen) oder den polnisch-russischen Suppenschlager „Barszcz“ (gesprochen: Barschtsch — Rote-Beete-Suppe mit oder ohne Einlage) — da gibt es das polnische Küchennationalheiligtum „Bigos“ (siehe Rezept), schlesischen Mohnkuchen oder „Flaki“ — eines der Gerichte, das vielen wohl besser schmecken dürfte, solange sie die Zutaten — Kutteln (Kuhmagen also) — nicht kennen — womit wir schnell in der Froschschenkel- oder Schneckenecke sind. Uwaga? Nie! Vorsicht? Nein! Froschschenkel und Schnecken gibt’s nicht bei Irena. Da sei Gott vor oder sonstwer. Aber Spezialitäten (siehe oben) können halt auch sehr exotisch sein — und wenn’s nur ein Kuhmagen ist. Opolanka ist, obwohl in Kevelaer nur ein paar hundert Meter von der Gnadenkapelle entfernt gelegen, nicht als Gourmetwallfahrtsstätte angelegt — Opolanka serviert, was hierzulande den Namen „gutbürgerliche Küche“ tragen würde. Nicht zu vergessen das Flair. Gleich am Eingang ein Zeitungsständer Marke: Alles ist polnisch, und in der Auslage, die man auf dem Weg zu den Tischen passiert: Wurstspezialtäten aus Schlesien. „Die bekommen wir von einem schlesischen Metzger in Krefeld.“ Was lernen wir? Neben vielen türkischen Läden gibt’s in Krefeld auch den schlesischen Metzger.

Wer kommt ins Opolanka? „Wir haben ein sehr gemischtes Publikum“, beschreibt die Chefin. Kürzlich gab’s mal eine deutsch-polnische Hochzeit — und so gemischt wie das Paar sind auch die Gäste: Da treffen sich polnische Saisonarbeiter mit deutschen Pilgern, aber auch Russen waren schon da, und zum Sommer soll die Speisekarte, die bisher zweisprachig Spezialitäten anpreist, um eine dritte Sprache erweitert werden: Russisch. Kein Problem für Irena.

Do widzenia

Oft kommen aber auch um die Mittagszeit Schulkinder vorbei. Eigentlich kommen sie rein, denn: Bei Irena gibt’s auch schon mal ein Bonbon und dazu gute Laune — beides zum Mitnehmen. Und was essen die Gäste? Das hängt natürlich davon ab, woher sie kommen. „Wenn wir polnische Jugendliche hier haben, essen die oft lieber Fritten als Bigos“, erklärt Irena  — die Deutschen wollen natürlich die polnisch-schlesische Küche ausprobieren. Mit den Getränken ist es nicht anders. Das polnische Bier ist bei den Deutschen am meisten gefragt — die Polen tendieren eher zum Gerstensaft aus deutscher Produktion. Und in Sachen Wodka gibt’s natürlich den mit dem Grashalm.

Wohnen tut Irena nebst Mann noch immer in Geldern. Dass das Restaurant in Kevelaer ist — Zufall. „Wir haben etwas Nettes gesucht und es hier gefunden.“ Wohnen in Geldern — servieren in Kevelaer — kein Problem. So kommt man rum in der Welt. Und wie sieht die Zukunftsplanung aus? Irena hat, als Opolanka eröffnete schon ein bisschen an einen ihrer beiden Söhne gedacht. Der ist zurzeit arbeitslos — und wer weiß: Vielleicht ist das im Kreis Kleve höchst einzigartige und einmalige polnische Restaurant ja eine gute Grundlage. Und noch eins: Auf die Preisfrage „Ile kosztuje (Ille to koschtuje — was kostet das), gibt es bei Irenas Speisekarte nur beruhigende Antworten. Na denn: Do widzenia. Auf Wiedersehen.

Adresse: Opolanka, Maasstraße 9, 47623 Kevelaer, Telefon 02832 979338

Rezept



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007