Die Schüler sind motiviert. Hoch motiviert. Das ist nicht unbedingt Pädagogenalltag. So viel ist sicher. Mit solchen Schülern macht das Arbeiten Spaß. So viel ist auch sicher. Das können Gabriele Faulseit und Christa Knops bestätigen.
Heute wird gebacken. Die Rezepte sind verteilt — die Schüler an die Arbeit gegangen. Jeder einzelne ist hochkonzentriert. Was heute gebacken wird, kommt in die Weihnachtstüten. Ein echter Luxus. Und das steht fest: Sie werden es alle gebacken kriegen. Hier. Und heute.
Alexander, Erhan und Ömer
geben ihr Bestes — sehr zur Freude der Lehrerinnen. Wie gesagt: Nicht
eben der Alltag.
Und wo sind wir? In einer Privatschule? Einem Elitegymnasium? Bei
Waldorfs? Von wegen. Adresse: Kleve, Krohne 11. Der Knast. Die heute
hier ihre Plätzchen backen, sind „schwere
Jungs“. Betonung auf „Jungs“,
auch, wenn es die
Bäcker anders sehen. Alex sitzt wegen Betrugs. Jetzt ist er
mit Vanillekipferln beschäftigt und hat im wahrsten Sinne des
Wortes alle Hände voll zu tun. Der Teig muss zubereitet und
anschließend in Form gebracht werden.
Gabriele Faulseit und Christa Knops
unterrichten
ihre Jungs in Sachen Hauswirtschaft und Ernährung. Im
wirklichen
Leben arbeiten sie an den Berufsbildenden Schulen des Kreises Kleve.
Aber was ist schon das wirkliche Leben? Als 1992 der Unterricht
für
junge Gefangene eingeführt wurde, hielten Faulseit und Knops
das
für eine gute Sache und meldeten sich für den
„Job“. In Sachen Hauswirtschaft waren sie die
einzigen, die
sich trauten. Im Knast unterrichten? Die Kollegen waren nicht
begeistert.
Auch Gabriele Faulseit und Christa Knops mögen mit einem mulmigen Gefühl zur ersten Stunde erschienen sein. Heute ist das anders. Merke: Auch das hier ist das wirkliche Leben. Was ihre Schützlinge verbrochen haben, könnten die beiden auf Anfrage erfahren. Sie wollen es nicht wissen. Sie wollen unvoreingenommen „ins Rennen“ gehen.
Im Laufe eines Kurses erfahren sie es dann aber meist doch. Denn: Wer kocht schon, ohne zu reden. Was bei Bio funktioniert, klappt auch hier. Das Kochen wird zur „Talkshow“ — die beiden Lehrerinnen werden zu Vertrauenspersonen. Man redet. Über das Essen. Über das Leben. Passiert ist in all den Jahren nix, außer, dass es Spaß gemacht hat und immer noch macht. Und wenn die Jungs hier zum Messer greifen, dann tun sie es nur, um den Lebensmitteln zu Leibe zu rücken.
Könnte man einen beliebigen Zuschauer einfach „vorwissenslos“ in den Unterrichtsraum beamen: Niemand würde merken, wer die Schüler sind. Die Atmosphäre ist gelöst. Irgendwie ganz normal. Entspannt. Konzentriert. Und vor allem: Jeder hält sich an die Regeln. Denn die gibt es. Drinnen wie draußen.
„Gemurrt wird manchmal allenfalls, wenn es ans Spülen geht“, berichten Faulseit und Knops. „Aber da gibt es dann eine Liste.“ Die „Lasten“ werden also gerecht verteilt. Und wer von den schweren Jungs hätte schon gedacht, dass er im Knast ans Abtrocknen kommt?
Die Jungs backen nicht in jeder Stunde. In der Regel geht es eher ums Kochen und Braten. Und natürlich um die Theorie.
„Wir vermitteln Kenntnisse zur gesunden Ernährung. Tatsache ist, dass die meisten der jugendlichen Inhaftierten noch nie mit der Verarbeitung von Lebensmitteln und den damit verbundenen Aufgaben wie Arbeitsplanung, Einkauf oder Hygienemaßnahmen zu tun hatten“, erklären die Chefinnen im Ring. Jetzt wird über Nährwerttabellen und Kalorien gesprochen. Das ist was anderes, als zur Döner-Bude um die Ecke zu gehen oder sich eine Pizza in die Mikrowelle zu schieben. Pizza steht allerdings ganz oben auf der Geschmacks-Hitliste der jugendlichen Gefangenen. In der Lehrküche stehen andere Sachen auf dem Speiseplan. Heute gibt es neben den Weihnachtsplätzchen ein Chili con carne. Das Hackfleisch ist nur vom Rind. Das hat nichts mit Nährwert zu tun — das liegt an der Religion.
Eine alte Küchenweisheit: Beim Kochen kannst du nicht nur übers Essen sprechen. Und so kommen alle Beteiligten „so ganz nebenbei“ ins Gespräch. Das ist oft genug mindestens ebenso wichtig wie das Erlernen von geregelten Arbeitsabläufen oder das Klären der Frage, was ein Küchenfreund oder ein Geizhals ist.
Was wird denn drin sein in den
Weihnachtstüten? Vanillekipferln, gefüllte Datteln,
Mandelsplitter mit Schokoüberzug. Lauter leckere Sachen halt.
Das
Küchentrio ist hochkonzentriert bei der Sache, und am Ende
beweist
der Selbstversuch des Redakteurs: Mächtig gut — die
Plätzchen
aus der anderen Weihnachtsbäckerei.
Und das Chili con carne? Vom Feinsten. Und weil sich die Köche nicht lumpen lassen wollen, gibt’s auch noch eine Nachspeise: Quark mit Orangenstücken und Schokosplittern. Prädikat: Besonders lecker.
Noch bevor das Essen auf den
schön
dekorierten Tisch kommt („Auch das gehört jedes mal
dazu“, erklären die Lehrerinnen), ist die
Lehrküche
schon wieder blitzblank.So ganz nebenbei wird beim
abschließenden
gemeinsamen Essen neben dem Geschmackstest ein „angemessenes
Miteinander“ geübt.Wer weiß: Vielleicht
wird ja der
eine oder andere nach der Entlassung wieder mal zum Kochlöffel
greifen. Appetit geholt haben sie sich alle.