Josef Peters

Halbe Stelle - ganzes Herz

Der Mensch denkt ...

Josef Peters sitzt im Knast. Zweimal die Woche. Offener Vollzug? Nein, Anstaltsseelsorger. Josef Peters versorgt eine halbe Stelle – mit ganzem Herzen. Zufälle gibt es kaum. Der Mensch denkt ...

Vor fünf Jahren bekam Peters den Anruf. Es gäbe da eine Stelle im Klever Knast neu zu besetzen. Einen Tag vorher hätte er vielleicht Nein gesagt – mindestens gezögert. Aber gerade morgens hatte er erfahren, dass ein entfernter Bekannter aus dem hohen Norden Schiffbruch erlitten hatte. Der Bekannte allerdings besaß keine Yacht. Er war anders untergangen und verurteilt worden. In den Knast gekommen. Ein netter Kerl. So schnell kann’s gehen ...

In diese Situation hinein also der Anruf – die Frage. Für Peters stand fest: Ich mach’s. Fünf Jahre ist das her und Peters hat längst gelernt, dass man auch den Kreis nach Ecken absuchen muss, dass es im Guten das Schlechte gibt und umgekehrt. Menschen, die keinen Schlüssel für die acht Quadratmeter Wohnraum haben, an deren Fenster Gitter angebracht sind, erleben anders.

Briefkasten

Peters proklamiert nicht, dass alle Knackis nette Menschen sind. „Aber gerade die Menschen, die hier landen, brauchen oft besonderen Zuspruch“, ist er sicher. Ein Gespräch unter Knackis ist – schön und gut, aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht für eines jeden Menschen Ohr bestimmt sind. Seelsorger sind nicht nur außerhalb der Knastmauern Geheimnisträger der besonderen Art. Der Mensch denkt ...

Zweimal wöchentlich kommt Josef Peters in der Knast – Sonn- und Feiertage nicht eingerechnet. Dann wirft er einen Blick in den Briefkasten, der in der Regel niemals leer ist und in der Weihnachtszeit gefühlt immer etwas voller. Mancher Häftling bittet um einen Besuch – ein Gespräch, andere haben andere Sorgen. „Sehr geehrter Herr Peters. Ich möchte Sie bitten mir ein Weihnachtspakett zu Packen! Leider habe ich niemanden mehr da draußen der mir ein Pakett schickt! Das währe sehr Nett von Ihnen, wenn Sie das tun könnten. P.S. Ich bin seit 1 Jahr Nichtraucher!!! Weihnachtspakettmake liegt bei!!!“

Einen Etat hat Josef Peters auch. Für große Sprünge reicht das nicht. 50 Cent pro Monat und Gefangenen - es werden aber nur die Hälfte der Gefangenen berechnet. (Es gibt andere Konfessionen – andere Töpfe.) Für Peters bedeutet das im Überschlag: 120 Gefangene mal 50 Cent.

Wenn Peters Post von einem Gefangenen bekommt, besucht er ihn in der Zelle und nimmt ihn dann mit in sein Büro. Es gibt, falls gewünscht ein Kreuz oder einen Rosenkranz. „Für viele ist das sehr wichtig.“ Peters erklärt ihnen, wie der Rosenkranz gebetet wird, wie man sich einlässt auf die Meditation des Gebetes. Aber natürlich geht es auch um das Konkrete: Die Einsamkeit in der Zelle, die Familie, den Trennungsschmerz. Als Seelsorger aus Wolkenkuckucksheim kannst du nichts werden im Knast.

Martin

„Viele von den Jungs hier haben einfach Pech gehabt“, sagt Peters und meint nicht das Verharmlosen eines Delikts. Er kennt viele „Karrieren“ und ihren Verlauf. Martin zum Beispiel: Martin fuhr mit einem Freund nach Holland. Vielleicht ist Freund das falsche Wort. Der, den Martin für seinen Freund hielt, schmuggelte Drogen. Mit gehangen, mit gefangen. 18 Monate. Jetzt sitzt Martin in Kleve – ein netter, junger Mann: Schüchtern, höflich, zuvorkommend.

Peters besuchte ihn – brachte ein Kreuz in die Zelle (Restbestände vom Weltjugendtag 2005). Die beiden kamen ins Gespräch, und kamen auf das Elend. Eigentlich, so Martin, könne er sich nicht beklagen. Im Knast habe er alles: Ein Dach über dem Kopf, drei Mahlzeiten am Tag. Das gelte längst nicht für alle Menschen. Viele, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, die nicht im Knast sitzen, wissen trotzdem morgens nicht, was sie mittags essen werden. Früher fand man solche Menschen in der vermeintlich „dritten Welt“. Heute muss einer zum Elend nicht weit reisen. Martin hatte die Idee, Spenden zu sammeln: Bei den Knackis. Josef Peters zeigte sich beeindruckt. Ein Aufruf wurde gestartet. Die Sache sprach sich rum im Klever Knast und schnell zeigte sich, dass auch andere Gefangene bereit waren, ein Zeichen zu setzen. Peters nutzte den Sonntagsgottesdienst, um auf die Sache aufmerksam zu machen, Aushänge wurden gemacht, die Knastzeitung schrieb über Martins Idee. Jetzt trudeln die Spenden ein. „Manche spenden 2 Euro, andere mehr. Die größte Spende belief sich auf 50 Euro“, erzählt Peters. Aber es geht nicht um die Höhe. Es geht um die Einsicht.

Markus 12

Am dem Sonntag, als Peters in Anstaltskirche das Spendenprojekt vorstellt, heißt es im Evangelium (Markus 12, 41 - 44): „Und er setzte sich dem Schatzkasten gegenüber und sah, wie die Volksmenge Geld in den Schatzkasten einlegte; und viele Reiche legten viel ein.  Und eine arme Witwe kam und legte zwei Scherflein ein, das ist ein Pfennig. Und er rief seine Jünger herbei und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr eingelegt als alle, die in den Schatzkasten eingelegt haben. Denn alle haben von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat aus ihrem Mangel alles, was sie hatte, eingelegt, ihren ganzen Lebensunterhalt.“
Der Mensch denkt ...
Wer im Knast Arbeit hat, bringt es auf einen Monatslohn zwischen 96 Euro und 158 Euro. „So viel verdient einer, der in der Schlosserei arbeitet“, erzählt Peters. Für einen, der 96 Euro im Monat hat (dabei gilt auch im Knast die 40-Stunden-Woche), können zwei Euro eine Menge Geld sein. (Das Gute im Schlechten ...)
In Peters Büro hängen reichlich Bilder und Ansichtskarten: „Ein frohes Fest und ein gutes neues Jahr wünscht 357“, steht auf einer. Auch Entlassene schreiben. Bedanken sich. Andere haben gemalt. Dürers betende Hände finden sich da als perfekte „Fälschung“, ein Jesus mit Dornenkrone als Bleistiftzeichnung. Peters zeigt die Sachen nicht ohne Stolz, denn sie sprechen dafür, dass Seelsorge im Knast unverzichtbar ist. Halbe Stelle – ganzes Herz, oder: Der Mensch denkt ...

 
Heiner Frost
Erstellt: 11.12.2009, letzte Änderung: 11.12.2009