Reklameschild

„Wie wär’s denn heut mit Känguruh?“

Fressmesse

Und führe uns nicht in Versuchung. Die grüne Woche, so hatte man mir vor der Reise bereits dargelegt — die grüne Woche sei eine Fressmesse. In Wirklichkeit ist sie die weltgrößte Agrarmesse. "Viel Spaß", hatte der Chef gewünscht und noch gesagt, ich solle was gegen das Sodbrennen mitnehmen. Auf nach Berlin.

Im Flieger mal ein bisschen das Programm studiert. Freitag, 16. Januar: Menu heute: Sülze von Kalbstafelspitz auf Carpaccio von Roter Beete mit Meerrettich ... mehr rett’ ich nich. Von außen sieht die "Messe Ost" an der Neuen Kant Straße in Charlottenburg gar nicht mal so groß aus. Wie man sich doch täuschen kann.

Wegriechen auch nicht

Draußen ist es ungemütlich kühl bis kalt. Also nix wie rin. Schon als sich die Tür zum Vorhof des Paradieses öffnet, wird mir schlagartig eines klar: Wegsehen geht. Wegriechen nicht. 20 Hallen voller kulinarischer Verlockungen — was ist dagegen das Fegefeuer?

Jedes Land der Erde scheint zum Kochen hier zu sein, und alle wollen sie nur das eine: Meine Selbstbeherrschung ins Wanken bringen. Ich habe mir das Rauchen abgewöhnt (von hundert auf Null) — ich kann den eisigen Verlockungen des Sommers widerstehen, aber schon nach zwei Minuten signalisieren die Düfte der Welt: "Wir werden dich zur Strecke bringen."

Die grüne Woche ist eine Folterkammer. Aber: Jetzt bin ich einmal drin — da werde ich's mir auch ansehen. (Und anriechen. Und anessen.) Gottseidank bin ich ja nicht zum Spaß hier. Es gilt zunächst, den Stand von Bedburg-Hau zu finden.

Ich laufe eine Info-Theke an: "Entschuldigung, wo geht's denn hier nach Bedburg-Hau?" "Na, dett kann ik Sie sajen, junger Mann. Halle 21, und denn werden Se dett schon finden."

Das lockende Unheil

Und welche Halle ist das hier: Das hier ist Halle 16. Ein langer Weg durch das lockende Unheil. (Schwein Elendchen in der Salzkruste.) Vorbei an japanischem Tee (das halte ich gut aus), Ardenner Schinken (Stück 6 Euro; ich versuche, meinen Kontostand zu rekapitulieren) und belgischen Pralinen ("Wir akzeptieren auch D-Mark" steht auf den Schildern) geht es Richtung Bedburg-Hau.

Noch rekapituliere ich: Wegsehen geht. Wegriechen nicht. Man braucht ja die Hände zum Transportieren des mitgebrachten Schreib- und Fotografierbestecks und kann sich die Nase demnach nicht zuhalten.

Den Verlockungen der niederländischen Küche bin ich locker gewachsen (Poffertjes ausgenommen) — trotzdem mal eben zwischendurch ein Käsehäppchen gegriffen. Die kosten nix. Bedburg-Hau ruft.

Wein und Saumagen

Zwischendrin: Weine aus Ozeanien (Wo war das doch gleich?), Pfälzer Saumagen (Kanzlers Leibgericht), Dampfnudeln mit heißen Kirschen und Vanille-Soße, Kaffeeduft, Zwiebelbraten — ein erstes Produktflimmern beginnt sich auszubreiten. In den Augenwinkeln gleiten Parma-Schinken, mexikanisches Chilli, Haxe in der Weißbierkruste, Kaviar, Trüffel, Gänseleber und Houmus vorbei. Vielleicht mal irgendwo um eine Wäscheklammer betteln (für die gequälte Nase!). Fischsuppe aus Schleswig-Holstein, Hummer aus Neu-England: Schmeck lass nach. In Bedburg-Hau erst mal ein Schinkenhäppchen (nur so für zwischendurch)  und ein Pils gegen den groben Durst.

Fotografieren, Notizen machen. Ablenkung. Ist das schön! Als ich gerade an nichts Böses denke, nähert sich die Vers(e)uchung in Form  des Kollegen Matthias: "Ich könnt jetzt mal was essen." Ja, muss man denn alles gleich aussprechen? "Nein!!!", denke ich — "Gute Idee!" sage ich. Auf nach Australien.

Vorbei an Chile, Syrien und den Bahamas geht es ins Reich der Beuteltiere. Und was keiner ahnte wird endlich zur Gewissheit: Die kann man essen — die Känguruhs. Als Chilli, als Steaks oder als Gulasch und gar als Grillwurst warten sie auf den (Journalisten)Magen. Am selben Stand gibt's Straußenbraten und irgendwas vom Krokodil (die Tränen sind es jedenfalls nicht). Also Känguruh-Gulasch. Das gibt's ja bei uns daheim zwischen Döner, Sauerbraten und Tiramisu eher nich als wie wohl.

Pfui Spinne

Mit dem 'Down-Under dunklen Doppelbock' macht sich das Beuteltiergulasch auf in den Magen. Der Abgang erinnert ein wenig an Wildbret. Vom Känguruh-Braten bloß daheim nix der Tochter erzählen. Das wäre das Ende einer schönen Beziehung zum eigenen Kinde: Der Vater: Ein Känguruh-Mörder.  "Pfui-Spinne!" Apropos Spinne: In Afrika gibt's Heuschrecken. Gegrillt. Sehr gesund, weil mit viel Protein versehen. Heuschreck lass nach!

Auf dem Weg zurück nach Bedburg-Hau in Halle 21 übermannt mich der kleine Hunger zwischendurch. Ich erliege einer in köstliche Vanillesoße getränkten Dampfnudel. Merke: Wegsehen geht. Wegriechen nicht.

Später, auf dem Weg zurück an den Niederrhein geht es ein letztes Mal vorbei an den Köstlichkeiten dieser Welt (Heuschrecken ausgenommen).

Man wird langsam abgebrüht. Vorsicht mit der Wortwahl angesichts von Känguruh-Gulasch und Straußensteaks! Und wenn man mal dem ärgsten Feind was Gutes tun möchte: Einen Tag irgendwo in der Messe-Ost anbinden. Riechen kann so grausam sein. Am Ende des Messebesuches noch der Gedanke an Morgenstern: Müde bin ich, Känguruh, schließe meinen Beutel zu ... 

Grüne Woche: Dolle Sache. Und damit hopp.

Alexanderplatz



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007