Gras lesen

Gras Gelesen

„Du spielst nicht gegen die anderen — du spielst gegen den Platz.“

Heute schon gegolft? — Diese Frage hätten die NN-Schreiberlinge noch bis vor Kurzem mit einem deutlichen „Nö“ beantworten müssen. Aber erstens kommt es anders, und zweitens kann man es ja mal versuchen. Die Wahrheit liegt auf dem Platz, und: Wer nichts wagt, der kann sich nicht blamieren.

Lektion 1

Hubertus Vollrath ist Golf-Pro — der Mann mit der Trainerlizenz. Der Mann, der weiß wie's geht. Hubertus Vollrath spielt Golf wie 'die Mutter' Geige. Alles sieht irgendwie leicht aus. Irgendwie ganz selbstverständlich. Irgendwie machbar. "Wir werden mal zwei Löcher spielen", begrüßt er die Schreiber und meint: "Ich werde euch jetzt mal zeigen, wie das geht." 

Das tut er dann auch. Golf im fortgeschrittenen Stadium. "Und danach werdet ihr dann selber mal ein paar Bälle schlagen", droht der Pro. Aber erst mal heißt es: Hingucken und Staunen. Wenn Vollrath den Ball abschlägt, vermittelt sich der ultimative Eindruck: Das hier ist eine Art von Gesamtkunstwerk aus Landschaft, Gartenarchitektur und sportlicher Höchstleistung. Die Bahnen sind lang, und der Laie wundert sich. Da fliegt der Ball Richtung Grün und kann bei einem Gewicht von 43,95 Gramm bis zu 280 Stundenkilometern schnell werden. (Einen Waffenschein braucht man trotzdem nicht.) Dazu schnell eine neue Regel: Das Runde muss in das Runde.

Golf gibt's schon lange

Lassen wir die Regeln erst einmal außen vor. Kaum ein Sport mit derart ausführlichem Regelwerk. Im Lauf der Jahrhunderte ist einiges zusammen gekommen, denn gegolft wird schon ziemlich lange: "Erste Erwähnung in der Mitte des 15. Jahrhunderts, als der schottische König den Seinen das Golfen verbot. Sie schluderten allzu sehr mit dem Bogenschießen", sagt der Pro, der seit elf Jahren Trainer beim Land-Golf-Club Schloss Moyland ist. Und was sagt das Internet? In Schottland wurde das Golfspiel erstmals im 15. Jahrhundert schriftlich erwähnt: 1457, als es vom Parlament unter König James II. verboten wurde. Was lernen wir: Besser eine schlechte Presse als gar keine. Geschichte hin — zurück zum Golf: Fachbegriffe gibt es reichlich.

Lektion 2

Was lernt ein Redakteur? Bitte niemals einen Golfer, dir das Handicap zu erklären. Hubertus Vollrath hat seinen Ball aufs Grün geschlagen. Jetzt wird eingelocht. Nicht so profan: Es wird geputtet. Die Schläger zum Putten sind die teuersten, denn: Geputtet wird am häufigsten. Andere lesen Bücher — der Golfer liest das Grün. "Stellt euch vor, ihr schüttet Wasser aufs Grün: Jetzt müsst ihr wissen, wo es hinfließen wird", erklärt der Pro und geht in die Hocke: Gras lesen. Dann locht er ein. Birdie. Ein Schlag unter Par. Aha! Die Bahn ist mit vier Schlägen veranschlagt. Vollrath braucht drei. Und es sieht so einfach aus. Einer über Par, und es wäre ein Bogey gewesen. Das können wir uns merken. Auf zur Driving Range.

Lektion 3: Der Schwung macht’s

Genug zugesehen. Jetzt wird es ernst. Alles Golf beginnt mit dem ersten Schlag. Und für den brauchst du den Schwung. Spätestens jetzt klafft eine unübersehbare Lücke zwischen Zusehen und Nachmachen — Sportgucken und Wirklichkeit. Jetzt ist Biegsamkeit gefragt. Merke: Der Schwung kommt aus den Beinen. Was vorher so schön und einfach aussah, wird jetzt zur Prüfung. Wie steht man zum Ball? Wie greift man den Schläger? (Auf einmal ist die Welt so groß und der Ball so klein.) Die Driving Range wird nicht ohne Grund als Hackerwiese bezeichnet. Wichtig: Erst der Ball und dann die Wiese! Hier wird zwar nicht ins Gras gebissen — aber geschlagen schon. Wir lernen: Wer ins Gras hackt, macht's auch wieder heil. Placken einsetzen. Fertig. 

Die Grünfläche vor den Abschlagsbuchten ist übersät mit gelben Bällen: Golfpocken. Unter den Redakteuren zeigen sich erste noch ungeschliffene Golfjuwelen. Wenn die noch 50 Jahre richtig üben, wird es gnadenlos gut. "Golf ist ein reines Glücksspiel", hat einmal einer der großen Golfer einem Journalisten diktiert und hinzugefügt: "Aber es ist schon komisch: Je mehr ich trainiere, um so mehr Glück habe ich auch." Übersetzung: Übung macht den Meister. (98 Prozent Transpiration, 2 Prozent Inspiration.) Notwendige Einschränkung: Es ist wie mit der Musik: Manchmal hilft auch das Üben nicht. Talent muss sein. Jugend nicht notwendigerweise. "Golf spielen kannst du bis ins hohe Alter", erklärt der Pro. Von den rund 600 Mitgliedern im Land-Golf-Club Schloss Moyland hat einer 'Heesters-Format'. Der ist hundert, und die Insider erzählen, dass der Senior hin und wieder zu einem Spielchen vorbeischaut.

Lektion 4: Putten und Gras lesen

Nun denn — erste Eindrücke auf der Driving Range sind gesammelt. Der Ball ist klein und der Platz ist laaaang. Auf zum Putten. "Die Weite ist für die Show — das Putten für’s Geld", sagt der Pro. Da liegt der Ball. Vier Meter sind es noch bis ins Runde. "Stell dich so, dass die Augen direkt über dem Ball sind", erklärt Vollrath. Nerven darf man nicht haben beim 'Endspiel einer Bahn' — es sei denn, sie sind äußerst belastbar.

Je kürzer die Entfernung, umso höher die Pulsfrequenz. Und wehe dem, der da glaubt, jetzt käme 'nur noch ein leichter Schlag'. Immerhin: Für den Anfänger stellt sich beim Putten eher ein Erfolgserlebnis ein. (Es geht schließlich ohne den Schwung und ist ein bisschen — die Golfer mögen weglesen — wie beim Mini-Golf.) Fazit: Wenn morgen die Muskeln katern — keine Panik. Das vergeht. Abschließend Obligatorische Frage der Insider an die Novizen: Und? (Stimmhebung am Ende — lange Pause — gesehenes Fragezeichen.) Antwort: "Doch —" (Stimmhebung am Ende) "Golf ... das könnte was sein."

Vollrath

 



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007