Ballon

Der heiße Riese

Feuerroter Overall

Piloten sind korrekt gekleidete Fabelwesen mit Sternesammlung am Hemdkragen, passender Mütze, einem satten Gehalt und einem Kartenkoffer. Kann. Muss aber nicht, denn da wäre auch noch Horst — Horst vom Hagen. Der schlüpft zum Erproben seines Fluggerätes, das ja — wir werden es sehen — eigentlich ein Fahrzeug, ist in einen feuerroten Overall.

„Wer fährt bei mir mit?“ will er wissen, und fünf nichts ahnende Fluggäste (Fahrgäste) heben schüchtern einen Finger. Ich bin einer von ihnen. Horst wird für die nächsten rund 100 Minuten der Hahn im Korb sein — Master next God, hieß es auf den alten Windjammern. Im Korb unter dem „heißen Riesen“ ist zwar eiserne (sprich: horstene) Disziplin angesagt, aber es geht nicht allzu förmlich zu. „Ich bin der Horst“, spricht der Chef, „und ihr helft mir jetzt beim Aufbauen.“ Schließlich sollen die künftigen Passagiere ihr Fluggerät (Fahrzeug) kennen lernen.

2.400 PS auf Propanbasis

Der Brenner wird auf den Korb gesteckt und die Ballonhülle (cirka 1.500 Quadratmeter Stoff) aus dem Schutzsack geholt. Horst verteilt Arbeitshandschuhe. Zwei aus unserer Mitte werden an der offenen Seite postiert — Horst wird mit einem Ventilator, der leicht einen Kleiderschrank aus dem Zimmer pusten könnte, die Hülle „kalt aufblasen“. Schon vorher hat er den Brenner getestet. Der Brenner ist eigentlich ein Doppelbrenner und leistet insgesamt schlappe 2.400 PS auf Propanbasis. Vier Flaschen sind im Korb ("Die Fahrgäste werden extra gerechnet") — jede fasst rund 60 Liter. Das wird reichen.

Vor unseren Augen wird aus der einstmals schlaff am Boden liegenden Stoffschlange ein rotgelber Riesenballon von annähernd 30 Höhenmetern. Das Einsteigen hat Horst uns schon vorher beigebogen. „Wenn wir kurz vor dem Start sind, ist keine Zeit für Erklärungen. Dann muss alles klappen wie am Schnürchen“, hat Horst uns eingebleut. „Is klar, Schäff!“ „Wenn das Ding kalt aufgeblasen ist, fährst du den Ventilator weg“, hat Horst mich instruiert. Das krieg ich gebacken.

"Hinstellen — Gas — Raus!!!"

Längst röhrt der Brenner — Flammen schießen Richtung Ballon. Der heiße Riese richtet sich auf. Noch ist der Korb mit einem Seil am Verfolgerauto „angekettet“. Horst hat uns eingetrichtert: „Wenn ihr um den Korb steht — kurz vor dem Einsteigen — passt auf mit den Füßen.“ Der Korb ist schwer und ein Fuß relativ kaputt, wenn der Korb einen Hopser macht. Dann brüllt Horst: „Einsteigen.“ 

Die Mannschaft erklimmt den Korbesrand und steigt ein. ("Nacheinander aber zügig!") Was hatte Horst gesagt: „Hinstellen — Gas — RAUS!!!“ Jetzt ist Zeit für RAUS. Mit jedem Meter, den wir an Höhe gewinnen, wächst das Lächeln auf dem Horst-Gesicht. „Die erste Landung ist der Start“, auch so ein Satz, den wir Neulinge erst nach dem ersten Hopser verstehen. Über uns 4.000 Kubikmeter Luft, die durch den Doppelbrenner langsam erwärmt werden. Der Unterschied zwischen Außentemperatur und Lufttemperatur im Ballon muss 75 Prozent betragen — sonst wird es nichts mit dem Fahren.

Vielleicht ja Schweben

Und jetzt — in rund 250 Metern Höhe — ist Schönheit nicht mehr erklärbar. Ab jetzt gilt: Wer nicht drin ist, ist selbst schuld. Das ruhige Gleiten durch den Abendhhimmel ist mit nichts zu vergleichen. Der Virus Ballonicus greift auf jeden von uns über, und auch Vielfahrer Horst, der in Düsseldorf im Verein mit Gasballonen aufsteigt, ist nach eigenem Bekunden immer wieder begeistert. An alles denkt man angesichts dieses Zustandes — nicht an Fahren. Fahren — das klingt viel zu profan. Es muss ja nicht von Fliegen gesprochen werden — vielleicht wäre ja Schweben ein angemessenes Wort.

Rund eine Stunde sind wir oben. Dreißig Minuten nach Sonnenuntergang hat man unten zu sein. Da gilt dann: Vorausschauend fahren. „Wenn es draußen dämmert, siehst du die Stromleitungen nicht mehr. Dann wird’s gefährlich“, erklärt Horst, der seine Mannschaft auf die Landung vorbereitet. Jeder bekommt seinen Platz angewiesen. „Bleibt locker in den Knien“, verlangt Horst. Ein guter Rat, wie sich später herausstellen wird. Das ist der Stoßdämpfer-Effekt. Da er mich als „gut gepolstert“ einschätzt (Nichtrauchen macht dick), werde ich mit einem Kollegen vorne postiert. „Ihr lehnt euch dann gegen das Gestänge, als ob ihr eine Tür aufbrechen wollt“, erklärt der Chef und demonstriert zusätzlich, wie’s gemacht wird.

Soeben haben wir die Autobahn „überfahren“. Der Ballon befindet sich schon im Sinken. Horst hat — gleich hinter einem kleinen Waldstück — ein Maisfeld ausgemacht und dahinter die Wiese, auf der wir landen werden. (Kann denn, wer nicht fliegt, überhaupt landen?)

In 300 Metern Höhe das Gefühl: Der Ballon ist an den Himmel genagelt — bewegt sich kein Stück. Jetzt, da der Boden näher kommt, wird Geschwindigkeit fühl- und sichtbar. Horst schätzt: "25 bis 30 Stundenkilometer."

Energie-Vernichtung

Dann geht alles Schlag auf Schlag. Direkt an der Grenze von Maisfeld und Wiese legt Horst eine Punktlandung hin — allerdings sind wir noch nicht fertig. Später wird der Chef von Energie-Vernichtung sprechen. Bei der riesigen Segelfläche des heißen Riesen kommt der Stillstand nicht von jetzt auf gleich. Und da Horst uns mal zeigen möchte, was eine sportliche Landung ist, legt er den Korb schräg, und das Ding schrappt cirka 12 Meter übers Grün. Zwischendrin brüllt Horst; „Nicht nach draußen greifen. Haltet euch drinnen fest.“ Dann plötzlich steht der Korb — eigentlich liegt er noch immer, aber er bewegt sich nicht mehr. Wir entsteigen tief beeindruckt unserem Fahrzeug. Zehn Minuten später treffen unsere Verfolger ein. Das sind die, die uns wieder nach Hause holen. Der Ballon wird verpackt, und auf der Rückfahrt zum Startplatz gibt es natürlich nur ein Thema: Start — Fahrt — Landung. Horst hat das mächtig gut hingekriegt, und wir fünf sind ergriffen bis begeistert.

Luftadel

Später werden wir getauft und gehören fortan zum luftigen Adel — versehen mit Namen, die noch schwerer zu merken sind als die Rentenversicherungsnummer. „Sollte euch ein Ballonfahrer je nach eurem Namen fragen und ihr wisst ihn nicht, werden alle Umstehenden Ballonfahrerkollegen sehr, sehr durstig“, warnt man uns. (So also sorgen Ballonfahrer für Freibier auf Kosten der Neulinge!) Zur Taufurkunde gibt es noch den Ballonfahrerorden. „Sollte man euch irgendwo ohne diesen Orden antreffen...“, wird es wohl auch durstige Kehlen geben, ergänze ich innerlich und fange an, meinen neuen Namen zu lernen.

Plötzlich und unerwartet aufsteigender Zeitungsspezialist Heißlufterbgraf Heiner von Wissen, Massenstartbeobachter vom Schloss Moyland sowie sportlicher Kleewiesenlander am Schloss Wissen. Alles klar?



Heiner Frost
Erstellt: 18.03.2007, letzte Änderung: 18.03.2007